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Aaron Galpert

Erinnerungen von Aaron Galpert

„Ich wurde am 20. Juni 1923 in der Stadt Mukatschewo geboren. Mein Name ist Aaron, zu Hause wurde ich Ari genannt, in der tschechischen Schule nannte man mich Arnost, und für die Ungarn war ich Erne. Jetzt bin ich Ernest Galpert.“

Arons Vater Jeschua Galpert war ein Kleinhändler mit mittlerem Einkommen, seine Mutter Perl eine Hausfrau. Die jüdischen Traditionen wurden in der Familie respektiert. Mukatschewo war das Zentrum jüdischen Lebens im Gebiet. Hier lebte ein bekannter Rabbiner, Lazar Chaim Spira. Es gab viele Synagogen in der Stadt. In Mukatschewo lebten etwa 15 000 Juden.

Nach dem Abschluss der Grundschule hatte Aaron kein Geld, zu studieren, also arbeitete er als Mechaniker. Zu diesem Zeitpunkt war er 15 Jahre alt.

Nach der Besetzung Transkarpatiens im Jahre 1938 durch den ungarischen faschistischen Staat war die Freiheit der Juden vorbei. Von 1939-1944 beschränkten die Besatzungsgesetze jüdische Bildung, Rechte und Patente für die wirtschaftliche Tätigkeit. Im Jahr 1941 arbeitete Aaron in einer Papierfabrik. Im April 1944, nach der Besetzung von Mukatschewo durch die Deutschen, geriet er ins Arbeitslager der Stadt Dietrich in Siebenbürgen (Transsilvanien).

„Die Arbeit im Lager war schwer. Wir bauten Steine​ aus dem Steinbruch ab und luden sie auf Güterzüge. Die Aufseher und Wachmänner verspotteten und verfolgten uns. Der Drill war unerträglich, das Essen war schlecht. Bei der Arbeit gingen wir sechs Kilometer hinauf. Wir arbeiteten barfuss und zerschnitten uns die Beine an dem Steinsplitt. Sie schwollen an und waren mit Geschwüren bedeckt. Deutsche aus der Militärorganisation Todt haben diese Arbeit überwacht und geleitet. Unter ihnen war ein Mann, beinahe eine Bestie, Max - er hatte eine Verletzung aus Stalingrad erlitten. Er war bereit, schon wegen kleinster Fehler oder wegen einer Arbeitsunterbrechung Menschen zu töten.“

Als in Jassinja die ersten Einheiten der Roten Armee erschienen, wurden die Gefangenen in die Stadt Szombathely transportiert, wo sie zusammen mit sowjetischen Kriegsgefangenen untergebracht wurden. Im Januar 1945, als die sowjetischen Truppen näher kamen, wurden laut Aron die Häftlinge abermals verlegt, diesmal ins Konzentrationslager Schachendorf in Österreich.

„In Schachendorf wurden Panzergräben gebaut, wir arbeiteten im Matsch aus Schnee und Lehm. Die Gräben waren größer als ein Mensch und wir hatten keine Kraft mehr, den Lehm aufzuwerfen. Wer es nicht mehr schaffte, wurde sofort getötet. Wir waren in Lumpen gekleidet und froren. Wir schliefen in den Schuppen dicht wie Heringe gedrängt auf dreistöckigen Säulen. Wir bekamen fast kein Essen und Typhus brach aus. Jeden Tag starben Menschen und sie wurden mit Karren in den Wald gebracht und dort begraben. Hier erfuhr ich von den Eisenbahnern, was in Auschwitz geschah. Am letzten Tag, als nur 6 aus 100 Menschen zur Arbeit kamen, wurden wir von Jungs aus der Hitler-Jugend überwacht. Ich war schon sehr krank. Ich lag mit Fieber in einem Schuppen und war der Ohnmacht nahe. Ich hörte, wie mein Cousin Ari mir ins Ohr flüsterte, dass die Deutschen das Lager evakuierten und alle Gefangenen nach Westen getrieben würden. Diejenigen, die im Lager blieben, würden mit dem Schuppen verbrannt. Er bat mich, aufzustehen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Wir küssten uns und er ging auf den Todesmarsch. Viele unterwegs ermüdeten Menschen wurden direkt vor Ort erschossen. Ich wurde durch Schreie aus der Ohnmacht geweckt: „Hier sind die Russen!“ Ich stand auf, als wäre ich nicht krank. Es gab keine Wachmänner mehr. Wir, die überlebten, gingen durch die Frontlinie. Wir gingen, uns an den Händen haltend, und hatten keine Angst mehr.“

zeitzeugen/ushgorod/aaron_galpert.txt · Zuletzt geändert: 2018/04/09 16:23 von marina