Babyn Jar ist eine Schlucht auf dem Gebiet der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Mit einer Länge von 2,5 km und einer Tiefe von 5 bis 30 m war sie ein Nebental des einstigen Dneprzuflusses Potschajna und befand sich ursprünglich außerhalb der Stadtgrenzen. Heute wird das Gebiet durch die Melnykowa-Straße im Norden, die Olena-Teliha-Straße im Westen und die Dorohoschizka-Straße im Süden begrenzt.
Diese Schlucht war 1941 der Schauplatz des größten einzelnen Massakers an jüdischen Männern, Frauen und Kindern im Zweiten Weltkrieg, das unter der Verantwortung des Heeres der Wehrmacht durchgeführt wurde. Den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD fielen am 29. und 30. September 1941 mehr als 33.000 Juden zum Opfer. Die 6. Armee unter Generalfeldmarschall Walter von Reichenau, die bereits in den Monaten zuvor bei den Judenmorden eng mit dem SD zusammengearbeitet hatte, half bei der Planung und Durchführung der Vernichtungsaktion.
Der Massenmord an der jüdischen Bevölkerung wurde verübt, nachdem die 6. Armee und die Einsatzgruppe C der SS in Kiew einmarschiert waren. Verantwortlicher Oberbefehlshaber war Generalfeldmarschall Walter von Reichenau. Die jüdische Bevölkerung Kiews, die bei Kriegsbeginn 220.000 Menschen zählte, war zum großen Teil vor dem Einmarsch der Wehrmacht geflohen oder diente in der Roten Armee; etwa 50.000 waren zurückgeblieben, überwiegend ältere Männer, Frauen und Kinder. Das 22. Armeekorps, das der 6. Armee unterstand, stellte Kiew unter Besatzungsrecht und ernannte den Chef der Feldkommandantur 195 Generalmajor Kurt Eberhard zum Stadtkommandanten von Kiew.
Wenige Tage nach der Eroberung der Stadt kam es im Kiewer Stadtzentrum zu Explosionen und Bränden, bei denen mehrere Hundert Angehörige der Wehrmacht und Einwohner ums Leben kamen. Daraufhin hielten Offiziere der Wehrmacht und SS am 27. September 1941 in den Diensträumen Generalmajors Kurt Eberhard eine Besprechung ab, Teilnehmer waren u. a. Friedrich Jeckeln, der bereits das Massaker von Kamenez-Podolskij am Ende August 1941 mitzuverantworten hatte, der Befehlshaber der Einsatzgruppe C, SS-Brigadeführer Otto Rasch, sowie der Befehlshaber des Sonderkommandos 4a, SS-Standartenführer Paul Blobel. Es wurde beschlossen, einen Großteil der Kiewer Juden zu töten und dieses Vorhaben durch eine „Evakuierungsaktion der Juden“ zu tarnen. Zur vereinbarten Arbeitsteilung zwischen Wehrmacht und SS berichtete SS-Obersturmführer August Häfner, der an dieser und den Folgebesprechungen teilnahm: „Wir mußten die Drecksarbeit machen. Ich denke ewig daran, daß der Generalmajor Kurt Eberhard in Kiew sagte: ‚Schießen müsst ihr!‘“. Vor den Angehörigen von SS und Wehrmacht sollte die Mordaktion als „Vergeltung für die Anschläge“ legitimiert werden. Generalfeldmarschall Reichenau forcierte die Aktion persönlich, wie aus einem Bericht der SS nach Berlin hervorgeht: „Wehrmacht begrüßt Maßnahmen und erbittet radikales Vorgehen“.
An der Aktion waren Angehörige des SD und des Sonderkommandos 4a (befehligt von SS-Standartenführer Paul Blobel) der SS-Einsatzgruppe C unter dem Kommando von SS-Brigadeführer Otto Rasch, die für die sogenannten Exekutivmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung zuständig war, Kommandos des Polizeiregiments Süd der Ordnungspolizei, Angehörige der Geheimen Feldpolizei, ukrainische Miliz sowie die Wehrmacht beteiligt. Auch die „Bukowiner Kurin“, eine von Pjotr Wojnowskyj angeleitete Militäreinheit der Melnyk-Fraktion der Organisation Ukrainischer Nationalisten, nahm aktiv an dem Massaker teil.
Am 28. September 1941 wurden Bekanntmachungen über eine Evakuierung an die Kiewer Juden herausgegeben. Diese sollten sich am folgenden Tag in der Nähe des Bahnhofes einfinden und warme Kleidung, Geld sowie persönliche Dokumente und Wertgegenstände mitbringen. Diesem Aufruf folgten mehr Juden als erwartet. In Gruppen wurden diese aus der Stadt und zur Schlucht geführt, mussten sich dort ihrer Kleidung entledigen und wurden dann entsprechend dem „Einsatzbefehl der Einsatzgruppe Nr. 101“ systematisch durch Maschinengewehr- und Maschinenpistolenfeuer erschossen. Bei den Erschießungen am 29. und 30. September 1941 wurden laut Ereignismeldung der SS-Einsatzgruppe C vom 2. Oktober 1941 innerhalb von 36 Stunden 33.771 Juden getötet.
Eine der wenigen Überlebenden, Dina Pronitschewa, schildert das Grauen so:
„Sie mussten sich bäuchlings auf die Leichen der Ermordeten legen und auf die Schüsse warten, die von oben kamen. Dann kam die nächste Gruppe. 36 Stunden lang kamen Juden und starben. Vielleicht waren die Menschen im Sterben und im Tod gleich, aber jeder war anders bis zum letzten Moment, jeder hatte andere Gedanken und Vorahnungen, bis alles klar war, und dann wurde alles schwarz. Manche Menschen starben mit dem Gedanken an andere, wie die Mutter der schönen fünfzehnjährigen Sara, die bat, gemeinsam mit ihrer Tochter erschossen zu werden. Hier war selbst zum Schluss noch eine Sorge: Wenn sie sah, wie ihre Tochter erschossen wurde, würde sie nicht mehr sehen, wie sie vergewaltigt wurde. Eine nackte Mutter verbrachte ihre letzten Augenblicke damit, ihrem Säugling die Brust zu geben. Als das Baby lebendig in die Schlucht geworfen wurde, sprang sie hinterher.“
Vor den Erschießungen soll es laut Zeugenaussagen auch zu Fällen sexueller Gewalt gegenüber Frauen gekommen sein. Die Wehrmacht leistete mehr als nur logistische Hilfe, indem sie die Stadt und den Erschießungsort absicherte und nach dem Massaker Teile der Schluchtwände sprengte, um mit dem abgesprengten Schutt die Leichenberge zu verstecken. Bis zum 12. Oktober wurden insgesamt 51.000 Juden getötet. Die Habseligkeiten der Juden wurden in einem Lagerhaus aufbewahrt und an Volksdeutsche sowie bedürftige Einwohner von Kiew verteilt. Die Kleider wurden in 137 Lkw verladen und der NS-Volkswohlfahrt übergeben.
Nach dem Massaker lobte die Einsatzgruppe C die gute Zusammenarbeit mit der 6. Armee:
„Es ist der Einsatzgruppe gelungen, zu sämtlichen Wehrdienststellen vom ersten Tag an ein ganz ausgezeichnetes Einvernehmen herzustellen. Hierdurch wurde es auch ermöglicht, daß die Einsatzgruppe von Beginn ihres Einsatzes an sich niemals im Raum des rückwärtigen Heeresgebietes aufgehalten hat, daß vielmehr von der Wehrmacht immer wieder die Bitte ausgesprochen wurde, die Einsatzkommandos möchten sich möglichst weit vorne bewegen.“