Interview mit der Zeugin Kateryna aus Gartenberg (Sadygora)
Herr Kuschnir: Frau Katerina, erzählen Sie uns bitte, was für eine Gegend ist das, wo wir uns gerade
befinden?
Frau Kateryna: Das ist ein Hügel in Gartenberg (Sadygora), den die Menschen gerne zur Entspannung
und Ruhe besuchten. Ich war hier das erste Mal im Jahr 1944 mit meiner Tante, als ich
noch 7 Jahre alt war. Und das erste, was mir damals aufgefallen ist, war eine Grube, in der halb bekleidete Menschenkörper in verschiedensten Haltungen lagen. Dort, rund ums Grab, versammelte
sich eine Menge von Leuten, doch ich beachtete sie kaum, da ich niemanden kannte.
Einige fingen an zu weinen, und da ich noch ein kleines Kind war, habe ich das als sehr schmerzhaft
empfunden. Doch das Erstaunlichste für mich dabei war, dass kleine Kinder von ihren Eltern und
Angehörigen an ihren Anziehsachen erkannt wurden. An das Ende der Situation kann ich mich
schon nicht mehr erinnern.
Und nach mehreren Jahren habe ich mich nach dem Beerdigungsort dieser erschossenen Juden erkundigt und man zeigte mir dieses Grab. Von der 38. Schule aus, wo ich studierte, führte ein Pfad bis zum Friedhof, den wir oftmals benutzten.
Gewöhnlich gab es auf diesem Friedhof ausschließlich plattenförmige Grabsteine (überwiegend in einem verfallenen Zustand). Eines Tages war dort eine ungewöhnliche Grube mit dem großen Stein oben angelegt worden, wie es sich herausgestellt hatte, wurden in dem alle erschossenen Juden beerdigt.
Herr Kuschnir: Frau Kateryna, aber jetzt wissen Sie schon, was da vorgefallen ist? Können Sie uns diese Geschichte erzählen, warum es da ein Grab mit Menschenleichen und menschlichen Sachen gab?
Frau Kateryna: Ich hab vor 2 Jahren in einer Zeitung die Reportage einer jungen Journalistin gelesen, in der es sich um das im Dorf gefundene Grab der erschossenen Juden handelte. Und dieser Artikel hat gleich in meinem Kopf die alten Erinnerungen an diesen Ort hervorgerufen. Ich muss zugeben, dass ich mich ab und zu daran erinnerte. Und ich habe mich entschlossen, diese Geschichte ans Licht zu bringen, um die Wahrheit zu enthüllen. Dazu hat mich unser Priester Kschyschtov bewegt, dem ich von diesen Juden erzählt hatte. Der erwiderte, er kenne diese Geschichte und man müsse die Namen dieser Menschen feststellen und sie damit verewigen. Und da fing ich an, nachzufragen.
Als erstes bin ich zu Frau Lönzi Gontschar gegangen und habe mich danach erkundigt, ob sie mir etwas davon erzählen konnte. Und sie versuchte, all diese Erinnerungen wieder aufzubringen. Es sei im Frühling in der Nacht passiert, als sie noch klein war. Man führte Menschen entlang der Dynaiwska Straße nach oben. Ihr Vater hatte die Schüsse hier auf dem Hügel gehört und befahl den Kindern, sich auf dem Dachgeschoss zu verstecken. Alle hatten eine riesige Angst. Am Morgen ging eine ältere Schwester ins Dorf um festzustellen, was dort los war. Und sie erzählte schreckliche Dinge: es wurde in der Nacht eine große Menge von Menschen erschossen, und dort, wo die Leichen hineingeworfen worden waren, bewegte sich die Erde. Und da, an dieser Stelle, wo wir gerade sind, gab es einen Panzergraben, den die Rumänen für die Stadtverteidigung errichtet hatten Und dort unten, etwas entfernt vom Panzergraben, lagen die begrabenen Menschen. Es sei betont, dass dieses Begräbnis nicht besonders tief war, die Menschenkörper befanden sich in einem relativ guten Zustand (Die Verwesung hatte noch nicht angefangen). Und das erweckte mein großes Interesse. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass es auch ein paar Juden gelungen ist, dem Tod zu entkommen.
Es war eine Frau mit dem Kind, die bei meiner Nachbarin nur zwei Tage wohnten. Wo sie heutzutage sind, habe ich keine Ahnung. Doch es gab auch solche Leute, die mir bei solchen Fragen den Rücken zeigten und kein Wort mehr sagen wollten. Und ich ließ sie deswegen in Ruhe. Etwas später danach hat mir eine junge Frau die von ihrem Vater gehörte Geschichte nacherzählt. Während dieses Todeszuges entlang der Dynaiwska Straße kam ein Mädchen zu ihm unbemerkt in den Hof und bat um ein Versteck. Der ließ es in einen erkalteten Ofen hineinsteigen und am Morgen ging dieses Mädchen fort. Kurz danach kamen die bewaffneten Männer und fragten nach ihr. Doch der Handwerker erwiderte, er habe niemanden gesehen. Auf diese Weise wurde eine junge Jüdin gerettet. Was sie für ein weiteres Schicksal hatte, kann heute leider niemand genau sagen. Es sei auch erwähnt, dass die Juden auch von den hiesigen Leuten ermordet wurden, die bei diesen Soldaten arbeiteten. Das waren überwiegend Handwerker. Ich kann mich noch genau daran erinnern, als wir im Jahr 1944 ins Dorf angekommen sind, dass man zu ihrer Hauptbeschäftigung die Herstellung der Pelzmäntel und Stiefel, die Bearbeitung der Tierhaut zählte.
Herr Kuschnir: Frau Kateryna, haben Sie bis dahin irgendwie versucht, genau festzustellen, eventuell mit irgendwelchen schriftlichen Quellen, was gab es am Ort, wo wir uns gerade befinden? Frau Kateryna: Natürlich habe ich daran gedacht, aber ich wußte nicht an wen ich mich wenden sollte. Es herrschten damals andere Zeiten und dieses Thema wurde überall verschwiegen. Als Kind bewahrte ich dieses Erlebnis im Gedächtnis, doch danach begann ich ein neues Leben, und das gesehene Bild ist teilweise verblasst. Und erst vor wenigen Jahren bin ich auf die schon oben erwähnte Reportage gestoßen von den Ausgrabungen und alles erschien vor meinen Augen, als sei es gestern gewesen. Ich weigerte mich ja am Anfang, doch dann raffte ich mich zusammen und ging zur Frau Natalja Woronzowa, Leiterin der Organisation „Chesed Suschana“. Diese Geschichte erweckte gleich ihr Interesse, da sie davon zuvor gar nichts gehört hat. Wir haben uns dann verabredet und sind hierher im Winter gekommen. Und da haben wir diesen Grabstein gesehen, da es damals noch keinen Schnee gab. Auf welche Weise er auf den Hügel geschleppt wurde, hab ich keine Ahnung.
Ich habe mich auch mit dieser Frage an „СБУ“ („Sicherheitsdienst der Ukraine“) gewandt. Ich wurde dort von einem Herrn Wolodymyr empfangen, dessen Überraschung unübersehbar war, dass ich gekommen war. Alle Mitarbeiter kamen aus ihren Arbeitszimmern heraus, um mich zu begutachten. Und das fand ich wohl komisch. Ich erzählte ihm das Ziel meines Besuch, worauf er erwiderte, er wisse schon längst von diesem Massaker, doch es gäbe keine Bestätigungsunterlagen, alle wurden vernichtet. Ich war sehr erstaunt deswegen. Diese Unterlagen sind ja ein historischer Beweis. Doch kurz danach ist mir eingefallen, dass man oft die Gespräche von den Kusisten führte. Ich habe dann gleich wichtige Informationen über Kuslo herausgefunden, dem Leiter der rumänischen nazistischen Organisation, dessen Soldaten in Sadygora waren. Deswegen wandte ich mich wieder an Herrn Wolodymyr, bezüglich der Unterlagen von dieser Organisation und bekam letztendlich eine positive Antwort. Doch es hatte sich herausgestellt, dass diese Akten und Angaben ins Kiewer Büro übergeben worden waren. Es sei auch erwähnt, wenn ich mich bei einer Frau nach den Nachnamen dieser Männer erkundigte, sagte sie, es sei niemand von denen zurückgekehrt, da sie vor Gericht gestellt werden sollten. In meinen Erinnerungen blieb nur ein Nachname Bulyga. Er wohnte auf unserer Straße und stellte für mich etwas Schreckliches dar. Und wie sich später herausstellte, nahm auch er an dieser Mordaktion teil.
Herr Kuschnir: Frau Kateryna, sagen Sie uns noch bitte, warum haben Sie sich entschieden, davon zu erzählen? Frau Kateryna: Wie ich schon oben gesagt habe, es herrschten früher andere Zeiten. Doch als ich diese Reportage in der Zeitung ausfindig machte, erkannte ich, dass Menschen sich dafür zu interessieren beginnen. Und ich hab entschlossen, dass alle die Wahrheit wissen sollen.